Hugsweier, Lahr, Schwarzwald
Seit über 330 Jahren wird die Rubinmühle von der Familie Rubin, heute in der 14. Generation geleitet. Diese Mühle zum Beispiel ist sicher nicht die älteste ihrer Art, manche gehen in ihrer Historie auch noch ins späte Mittelalter zurück. Früher haben Mühlen das getan, was man mit ihrem Namen verbindet: Körner gemahlen, im Süden sehr oft von Wasserkraft angetrieben – und sei es auch nur ein verhältnismäßig kleiner Fluss. Aber dabei blieb es dann nicht. Das Mühlenhandwerk wurde größer und wuchs. Bald waren nur Mühlen an großen Flüssen mit Anschluss an einen leistungsfähigen Schiffsverkehr interessant. Außerdem braucht man ein nahes Hinterland mit ausreichend Getreide, weil der zu lange Transport das Handwerk uninteressant machte. Traditionshandwerker kamen sehr schnell an den Punkt, sich entweder an veränderte Bedingungen anzupassen oder aus dem einstigen Betrieb einen kleinen Nebenerwerb als Hobby zu machen. So erging es auch der Rubinmühle, wie man an wenigen Etappen aus der jüngeren Vergangenheit zeigen kann.

Nach dem Zweiten Weltkrieg geriet die Mühle an ihre spätere Hauptnutzung: Haferflocken. Sie waren nach dem Krieg nicht mit Lebensmittelkarten zwangsbewirtschaftet und konnten frei verkauft werden. Das ließ so manche Menschen zwischen Freiburg und Karlsruhe nach Hugsweier bei Lahr aufbrechen, um sich die ja nun wirklich proteinreichen Haferflocken zu holen. Ein willkommenes Lebensmittel … Aber nicht lange. Kaum war die erste Zeit der Not vorbei, war auch die Erinnerung an die sättigenden Haferflocken verflogen und das Produkt dann in erster Linie nur noch als Tierfutter interessant. Das brachte dann auch die Rubinmühle in den Bereich Tierfutter, wo man sich mit zusätzlichen neuen Herstelltechnologien einen Platz erarbeitete.

Aber die Haferflocken sollten wiederkommen – eine Renaissance über Müsli und Bio

Vor allem im süddeutschen Raum startete die Bioernährung mit der Wiederentdeckung scheinbar vergessener pflanzlicher Rezepte: mit Grünkern, Dinkel und eben auch mit Hafer. Rosinen, Nüsse, frisches Obst und Haferflocken – so ging das ursprüngliche Müsli. Und schon waren auch wieder Haferflocken gefragt und dann natürlich auch in Bioqualität. Aber wir ahnen schon, dass die typischen Verbraucher, selbst auch die Bioverbraucher, sich auf Dauer damit nicht zufriedengeben. Der Ruf nach wenigstens leicht gesüßten Frühstücksflakes und weiterer Abwechslung im Müsli sorgte für neue Herausforderungen.

Vor allem muss man sich ja vor Augen halten, dass jede Anpassung an neue Kundenwüsche neue Maschinen und eine völlig veränderte Technik bedeutet. Jeweils Investitionen, von denen man sich fragen musste, ab wann und wie sie sich lohnen würden. Von wegen Traditionsbetrieb und Rückblick auf viele Generationen, inzwischen praktisch für jede Generation ein neues Spiel und immer wieder eine verbesserte neue Technik. Die Vorstellung man könne mit bewährter handwerklicher Technik in einer Mühle noch etwas machen, träfe vielleicht auf einen Museumsbereich zu, für den aktuellen Wettbewerb im Massenbetrieb undenkbar. Und das nicht nur wegen der mangelnden Geschwindigkeit der Verarbeitung, sondern – sie ahnen es – auch wegen Produktsicherheit, Hygiene und all den Absicherungen, die der heutige Kunde, der Handel und die Kontrollbehörden von ordnungsgemäßen Lebensmitteln erwarten. Ein schönes Beispiel vom Abschied romantischer Vorstellungen.

Obwohl Lebensmittel für viele Verbraucher viel mit Emotionen und Bildern zu tun haben, am Ende stehen dahinter unendliche Wandlungsprozesse, schleichende historische Anpassungen und eine Riesenportion neuestes Sachwissen, Lebensmitteltechnologie und mehr. So ein traditioneller Unternehmenstyp wie eine Mühle illustriert den Abschied von solcher Romantik ganz schön. Gerade in der Biobranche würde man gerne den Weg zurück zu alten handwerklichen Techniken verherrlichen. Aber der hilft schon lange nicht mehr. Denn neben der mangelnden Bioqualität gibt es viele gesundheitliche Risiken bei der Herstellung von Lebensmitteln, die nur moderne Technik, moderne Hygiene und lückenlose Qualitätssicherung vermeiden können.

Originaltext aus @LOST POSTINGS
Klaus-Jürgen Holstein
Wie das Leben schmeckt
ISBN: 978-3-7528-8462-3